29th April 2021
Im Jahr 2020 haben wir vier Headstart COVID-19 Förderungen vergeben. Ein Jahr später fragen wir die Gewinner, was erreicht worden ist.
Nach dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie, wurde das EIT Health Headstart Programm erweitert. Ein spezifischer Headstart-Ausfruf ging an Start-ups, deren Produkte und Dienstleistungen das Gesundheitssystem entlasten. Wir haben uns gefreut, vier Start-ups aus dem Bereich der digitalen Gesundheit in unserer Community willkommen zu heißen: Climedo Health, RAMPmedical, Ancora.ai und ScintHealth wurden mit einem Zuschuss von 50.000 € ausgezeichnet. Nun, ein Jahr später, haben wir sie aufgesucht und erkundet, wie es ihnen seither ergangen ist.
Wer sie sind, und wie weit sie gekommen sind
Mit ihrem eQuarantineDiary, einem digitalen Symptom-Tagebuch, ermöglichte Climedo Health die Remote-Sammlung von Patientendaten und gab den Forschern damit eine finanzierbare und ganzheitliche Möglichkeit zur Erfassung und Überwachung von COVID-19-bezogenen klinischen Daten. Da sie webbasiert war, konnte die Datenerhebung unter Einhaltung der Social-Distancing-Maßnahmen erfolgen. Seitdem hat das Münchner Team mit Unterstützung des Bundesministeriums für Gesundheit das Projekt erfolgreich umgesetzt. „Dank der EIT Health Headstart-Finanzierung konnten wir mehrere neue Entwickler einstellen, die uns beim Ausbau unserer Infrastruktur halfen, um die Anforderungen des Projektes zu erfüllen.“ berichtete Catherine Higginson, Marketing & Communications Managerin bei Climedo Health. Außerdem haben sie eine Benutzeroberfläche für die Open-Source-Software SORMAS geschaffen, die für das Management und die Analyse von Infektionsausbrüchen verwendet wird.
Das Health-Tech-Start-up Ancora.ai und seine KI-gesteuerte Online-Plattform demokratisieren klinische Studien. Das Suchwerkzeug identifiziert klinische Studien und gleicht sie mit Patienten ab. Ursprünglich zur Unterstützung von Onkologie-Patienten gedacht, erweiterte das Team die Lösung im März 2020, indem sie einen spezifischen Algorithmus und einen auf den Patienten zugeschnittenen Fragebogen entwarfen um Patienten für die COVID-19 Studien auszuwählen. „Unser Team war trotz der Auswirkungen der Pandemie auf die Bandbreite der Krankenhäuser sehr beschäftigt mit den neuen Partnerschaften. Dank Headstart konnten wir ein Pilotprojekt mit einer führenden onkologischen Institution in Europa starten, um das Ärztemodul zu validieren, das wir während unserer Zeit im EIT-Programm entwickelt und als Beta-Version eingeführt haben,“ berichtet Emily Jordan, Mitgründerin und COO bei Ancora.ai. „Einer unserer größten Erfolge war der Abschluss unserer Patientenvalidierungsstudie sowie die Präsentation des Abstracts auf einer führenden Konferenz. Die Daten zeigten, dass Ancora.ai den Suchprozess für klinische Studien deutlich verbessert.“ fügte sie hinzu.
RAMPmedical ist ein von der EU ausgezeichnetes KI-Entscheidungshilfe-Tool, das medizinischen Fachkräften hilft, die richtige Therapie für ihre Patienten zu finden. Die Software analysiert aktuelle Behandlungsrichtlinien und medizinische Forschungen und stellt die Ergebnisse in einer Weise dar, dass Kliniker die Informationen berücksichtigen und Fehler vermeiden können.
„Die falsche Therapie ist ein zentrales Problem im Gesundheitswesen. Laut WHO erhält jeder zehnte Patient eine falsche Behandlung, was zu unnötigem Leiden und oft zum Tod führt. Die Software deckt bereits endokrinologische und kardiologische Behandlungen ab, gleicht Patientendaten mit Evidenz und Behandlungsrichtlinien ab und überlässt die finale Entscheidung dem vollständig informierten und KI-befähigten Arzt,“ bemerkt Alejandra Abal, COO bei RAMPmedical. Das Start-up hatte mehrere spannende Entwicklungen zu verkünden. Zum Beispiel die Verleihung des „Healthy Longevity Catalyst Award“ – von Headstart verwaltet – sowie die erfolgreiche Aufnahme des Supports für COVID-19-Therapieentscheidungen in ihre Software um Ärzte weltweit bei der Bewältigung der aktuellen Krise zu unterstützen. Dieser Support heißt, dass bei Patienten mit zusätzlichen Krankheiten, diese und COVID-19 gleichzeitig behandelt werden können, unter Berücksichtigung aller möglichen Komorbiditäten des Patienten. Außerdem führten sie eine retrospektive Analyse mit anonymisierten Patientendaten durch, die zeigte, dass ihre Software die Verweildauer von Krankenhauspatienten um 180% verbessert.
ScintHealth entwickelte das Konzept der selbstdesinfizierenden Räume um die Ausbreitung von ansteckenden Krankheiten in Gesundheitseinrichtungen zu minimieren und damit den Kampf gegen COVID-19 zu unterstützen. Thomas Wendler, CEO von ScintHealth gewährte uns einen Einblick in ihre Lösung und deren Entwicklungen: „Unser Team konnte innerhalb weniger Monate eine technische Lösung zusammenstellen, die selbstdesinfizierende Räume möglich machte. Unsere Lösung basiert auf UV-C Lampen und Sensoren zur Erkennung menschlicher Anwesenheit. Außerdem führt sie eine neuartige Funktion ein, die auf Computer-Vision-Tools mit künstlicher Intelligenz basiert. Diese ist nämlich eine vollautomatische Raumrekonstruktion und berechnet die Zeit, die benötigt wird, um die Virenlast von COVID-19 oder anderen Keimen um 90 %, 99 %, 99,9 % oder einen beliebigen Wert zu reduzieren, den der Nutzer wünscht. Somit fügen wir UV-C-basierten Systemen Intelligenz hinzu und ermöglichen einen effektiveren Kampf gegen Epidemien und multiresistente Keime. Diese Technologie wird im Klinikum der Technischen Universität München getestet und kommt hoffentlich Ende 2021 auf den Markt.“
Stolpersteine auf dem Weg
Von Remote-Arbeiten bis hin zum Versuch, ihre Lösungen in überlasteten Krankenhäusern unterzubringen, war es für unsere Start-ups nicht immer einfach. Neben Lieferverzögerungen berichtete Thomas Wendler von ScintHealth: „Obwohl wir bereits mit dem Wissen angetreten waren, wie ein strenger Lockdown funktioniert, haben wir nicht damit gerechnet, dass viele Labore auch für Entwicklungen gegen COVID-19 geschlossen waren, um sich auf die Behandlung dringender Patientenprobleme zu konzentrieren. Viele unserer Experimente wurden dadurch verzögert und das Projekt konnte erst 2 Monate später als geplant abgeschlossen werden.“
Emily Jordan von Ancora.ai ergänzte mit: „Krankenhäuser und Ärzte waren in unseren Schwerpunktmärkten während der Pandemie verständlicherweise sehr überlastet. Das bedeutete, dass wir ziemlich flexibel sein und im Rahmen ihrer Kapazitäten arbeiten mussten, als wir sie einrichteten, mit Ancora.ai zusammenzuarbeiten, um ihre Möglichkeiten für klinische Studien zu verbessern. Der Silberstreif am Horizont ist, dass der Bedarf an einer Technologie, die den Prozess vereinfacht, ganz klar vorhanden ist. Deshalb haben wir bisher ein großartiges Feedback von unseren Nutzern und Pilotstandorten erhalten, selbst in diesen Krisenzeiten.“ Die Eigenschaften von Start-ups haben sowohl ihre Vor- als auch ihre Nachteile, wie Helene Schönewolf, Mitgründerin & CEO von RAMPmedical, erzählte: „In Wirklichkeit gibt es immer noch große Herausforderungen bei der Umsetzung, besonders in abgelegenen Regionen oder wo Krankenhäuser unter finanziellen Problemen leiden. Aber ich bin optimistisch, dass die aktuellen politischen und förderrechtlichen Maßnahmen dazu beitragen werden, die Vision zu verwirklichen, sodass die Innovation im Gesundheitswesen in Schwung kommen kann. Der Vorteil von Start-ups ist, dass sie schnell mit innovativen Lösungen reagieren können, leider krisenanfällig sind, aber auch schnell wieder aufstehen.“
Anerkennung erhalten
Es ist keine Überraschung, dass das Interesse an den COVID-19-Lösungsansätzen groß ist. So erhielt beispielsweise Climedos Mitgründerin und COO Veronika Schweighart den deutschen ‚Thought Leader 2020 Award‘, initiiert vom deutschen Handelsblatt und der Boston Consulting Group. Ihr Team nahm auch an einem Live-Stream zum Thema „Public Health Solutions“ mit dem deutschen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im November 2020 teil. Zu den lobenden Erwähnungen des Ancora.ai-Teams gehören ein Google-Profil und ein Forbes DACH-Interview mit Mitgründerin Emily Jordan sowie die Teilnahme von CEO und Mitgründerin Danielle Ralic als Gastrednerin bei der WIRED Health EY Start-up-Showcase-Veranstaltung. Außerdem wurde RAMPmedical in die von Frontiers Health entwickelte Karte ‚Health Innovation Ecosystem Fighting Covid-19‘ aufgenommen. Währenddessen arbeitet ScintHealth fleißig an der Durchführung von Usability-Studien am Klinikum der Technischen Universität München, auf deren Abschluss eine Markteinführungskampagne folgen wird.
Reflexionen
2020 hat sich als ein schwieriges Jahr für uns alle erwiesen, nicht zuletzt für das Gesundheitswesen. „Obwohl COVID einige Dinge für alle schwieriger gemacht hat, konnten wir hier eine wichtige Gelegenheit nutzen und unsere Software in einem neuen Kontext einsetzen und gleichzeitig zur Bekämpfung der Pandemie beitragen. Wir sind sehr froh, dass wir uns dieses Projekt gesichert haben und dass wir selbst in einer globalen Krise deutlich wachsen konnten.“ – Catherine Higginson (Marketing & Communications Managerin, Climedo Health).
Der beste Weg aus diesen vorhergehenden Zeiten ist zusammen. Mit ihren Lösungen gehen die vier Start-ups über die Unterstützung des Gesundheitssystem in der Krise hinaus. Vielmehr schaffen sie auch einen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert. „Die Pandemie hat der Welt gezeigt, was möglich ist, wenn wir uns zusammenschließen, um klinische Entwicklung zu optimieren und zu priorisieren. Mehrere Impfstoffe wurden in Rekordzeit auf den Markt gebracht. Unser Team malt sich eine Zukunft aus, in der wir für jede Krankheit das erreichen können, was für COVID erreicht wurde. Durch die Skalierung unserer Lösung können wir uns eine Welt vorstellen, in der wir andere Krankheiten, einschließlich Krebs, schneller heilen können. – Emily Jordan (Mitgründerin & COO, Ancora.ai).
„Wir haben schon bei der Bewerbung für das Headstart-Programm die Marktfähigkeit unseres zukünftigen Produkts berücksichtigt [und begannen] unsere Strategie auf Nicht-CoViD-19-Krankheiten auszurichten, die ein großes Risiko für die Menschheit und eine enorme Belastung für Patienten und das Gesundheitssystem darstellen. Multiresistente Keime gibt es schon seit den fünfziger Jahren und sie werden weiter existieren und auftreten solange es Menschen gibt. Missbrauch von Antibiotika, industrielle Landwirtschaft, Zerstörung der natürlichen Lebensräume von Tieren… all diese Themen geben solche „Superkeimen“ neue Möglichkeiten, die menschliche Entwicklung zu behindern, wie wir in dieser Pandemie erfahren haben. Unsere Technologie ist eine Möglichkeit, die Auswirkungen solcher Keime einzuschränken, und daher wird dieser Markt mittelfristig unser Ziel sein.“ – Thomas Wendler (CEO, ScintHealth).
Die Pandemie hat uns auch vor Augen geführt welche offensichtliche Lücken in unseren Gesundheitssystemen existieren: „Die Krise hat einige [dieser] Probleme offengelegt. Probleme, an deren Lösung Start-ups schon seit längerer Zeit arbeiten. Ich denke, dass die Start-ups damit helfen können, diese Probleme schnell zu lösen und einen wesentlichen Beitrag zu einer schnelleren Stabilisierung der Wirtschaft zu leisten“ – Helene Schönewolf (Mitgründerin & CEO, RAMPmedical). „Ich glaube, dass die Krise Prozesse beschleunigt hat, die bereits im Gange waren: Es ist nicht mehr nötig zu argumentieren, dass wir digitale Gesundheit brauchen, sie ist in aller Munde, überall auf der Welt. Ein persönliches Beispiel: Vor ein paar Monaten hatte ich zum ersten Mal einen Arzttermin über eine Telemedizin-Plattform. Das war keine neue Erfindung, die in den letzten Monaten aufkam, aber sie war plötzlich sehr verfügbar für mich.“ – Alejandra Abal (COO, RAMPmedical).